Überführung am 16./17. Oktober ´19


Auf der Autobahn an einem Dienstagmorgen in Richtung Holland: Graublaue Wolken voraus, schwerer Himmel Richtung Westen. Es ist Mitte Oktober, die Mietperiode für den Sommerliegeplatz läuft aus. ELAN wird wie jedes Jahr überführt ins Winterquartier. Das ist in der vierten Vaarseizoen schon ein schönes Ritual, welches einer gewissen Ausgestaltung bedarf. Im letzten Jahr gab es nochmal eine Fahrt in den Sixhaven (klick), in 2017 übernachtete ich im Najade Ressort an den Loosdrechter Plassen (klick) und diesmal geht es am Tag vorher in Amsterdam auf ein Hotelschiff.
Zunächst aber schnell nach Nederhorst zum Boot. Es liegt unberührt seit 6 Wochen, zuletzt fuhren wir an einem Wochenende Anfang September nach Amsterdam (klick). Ich will einfach mal eine kurze Testfahrt auf den Spiegelplas machen. Die Maschine startet völlig klaglos nach ein paar Umdrehungen, ist doch eine solide Technik und die Akkus sind auch noch o.k. Ich bleibe nicht lang, denn Amsterdam wartet. Für den Transfer nehme ich das Auto. Die reine Fahrzeit wäre zwar mit der Bahn ab Weesp kürzer, aber das Abstellen des Wagens bei der Jachtwerf, Fußwege etc., vor allem am Mittwoch zurück, das wäre alles in Summe zeitlich doch länger. 


Vor allem bin ich mit dem Auto flexibler, ich mache spontan einen kleine Umweg über IJburg. Das ist ein völlig neuer Stadtteil, auf aufgeschüttetem Sand im IJmeer gebaut. Seit einigen Jahren wird das immer größer, nach den "Kunststädten" Lelystad und Almere auf Flevoland das dritte große Projekt einer völlig neu geschaffenen Urbanisation mit mittlerweile 25.000 Einwohnern. Ein neues Segment, genannt Strandeiland, wird gerade mit den ersten Häusern bebaut.
Von da sind es nur 10 Minuten in die City. Thema Parken! Ist das direkt im Kern der Stadt nicht überall sauteuer? Im Prinzip ja - gibt aber eine Ausnahme: Ein Platz in der  Riesentiefgarage unter der Oosterdokskade kostet für volle 24 Stunden 20€, das sind nur 7,40€ mehr als in Bochum. Und der Stellplatz liegt genau da, wo ich hin möchte. Die Hotelboote liegen ja alle im Oosterdok aufgereiht. Doch es ist noch etwas früh, das Wetter hellt auf. Und da am Ausgang der Garage direkt ein Albert Heijn liegt, hole ich mir eine halbe Flaschen gekühlten Chardonnay und was zum Knabbern. Und setze mich damit auf das offene Dach vom NEMO und genieße auf dieser großen Freiterrasse ein Stündken die Aussicht auf die Wasserstadt.


Von hier sieht man auch die Hotelboote. Das sind alles noch fahrende Schiffe, alte umgebaute Frachtkähne, die im Sommer vor allem Radrundreisen anbieten. In der Off-Season liegen die hier fest und fungieren als schwimmende Hotels mit Charakter.


In 2018 haben wir zum Saisonstart schon mal hier übernachtet, das war auf der Sailing Home (klick). Diesmal geht es auf die Sarah, ein langer alter Pott, innen sehr schön hergerichtet.



Es gibt nur 10 Doppelkabinen unter Deck, alle mit eigenem Bad.


Am späten Nachmittag dann Aufbruch für einen Bummel. Obwohl ich früher manchmal, in den letzten beiden Jahren öfter hier war und vieles vertraut wirkt, überwiegt immer noch ein Gefühl völliger Fremdheit bei Streifzügen durch die Stadt. Das ist ganz positiv gemeint, eine Mischung aus Distanz und Neugier, die eine anregende Stimmung erzeugt. Man wird zu einem meist heiteren, manchmal melancholischen Flaneur. Alle Sinne sind offen und die Aufmerksamkeit ist gefangen auch für Details und scheinbare Nebensachen, immer gespannt auf das, was hinter der nächsten Ecke passiert, hier im verschachtelten und kleinteiligen Zentrum von Amsterdam. 
Ich laufe entlang der Nieuwe Herengracht, da ist ELAN schon oft durch für den kurzen Transfer von der Amstel auf das IJ. Auf halber Strecke zur Amstel hin liegt der Wertheim Park, ältester Park von Amsterdam mit alten Bäumen, mittendrin ein schöner historischer Brunnen und das Auschwitz-Monument aus Spiegelglas. 


Es gibt eine Planung, hier im Park ein großes Holocaust-Mahnmal zu errichten mit den Namen aller von den Deutschen deportierten Juden, Sinti und Roma, sowie niederländischer Juden aus anderen Ländern. Der Entwurf stammt von Daniel Liebeskind und ist in der Anlage ein komplexes und raumgreifendes Bauwerk. Dagegen gibt es Proteste von Anwohnern, näheres dazu hier (klick).


Direkt gegenüber steht das Hotel Parklane, da war ich mal für eine Nacht vor vielen, vielen Jahren.


Am Hortus Botanicus steht im Wasser ein Brückenhaus. Die gibt es an den niederländischen Wasserwegen zuhauf, vor der Automatisierung waren das bemannte Stationen für die Bedienung von Brücken und Schleusen. Besonders viele gibt es natürlich im Großraum Amsterdam. 28 davon wurden in den letzten Jahren zu kleinen Ferienappartments umgebaut, immer für zwei Personen zu mieten. Unter der Marke Sweets-Hotel sind das sehr individuelle und spannend gelegene Unterkünfte. 
Dieses hier an der Hortus-Brücke ist gebaut 1956 und überzeugt durch geradlinige, auch heute noch modern wirkende Architektur. Innen gibt es passend dazu sogar den berühmten Red and Blue Chair von Gerrit Rietveld. Hier sind Details (klick).


Geradeaus trifft man auf die Amstel. Ich quere den Fluß auf der Magere Brug und laufe auf der anderen Seite weiter entlang der Herengracht mit ihren prächtigen Stadtvillen, Wohnsitze der mächtigsten und reichsten Familien der Stadt im Gouden Eeuw.


Nach ein paar Schlenkern komme ich am Rembrandtplein raus, hier war ich noch nie. Zu Füßen der Rembrandtstatue hat man 2006 zum 400. Geburtstag des Malers eine ganze Skulpturengruppe aus Gußbronze im Stile der Nachtwache geschaffen. Ein begehbares Ensemble, kann man sehr gut Selfies machen...


Wie weiter? Man könnte sich jetzt in einer Kneipe niederlassen, zum Essen und Trinken. Dazu habe ich aber solo keine große Lust. Und es gibt ja auch einen anderen Plan: Um 19.00 beginnt ein Freikonzert im Conservatorium van Amsterdam. Das steht just wieder genau am Oosterdok, ein Steinwurf vom Hotelboot entfernt. Seit ein paar Jahren liegt diese Abteilung der Hogeschool vor de Kunsten hier in einem modernen Glaskasten direkt neben der OBA. Innen ein großes Gewimmel, junge Musikstudenten aus zig Ländern mit ihren Instrumentenkästen, internationales Flair total. Heute ist Big Band Abend, dabei als Stargast Tineke Postma, eine bekannte niederländische Jazzmusikerin. Kannte ich nicht, umso beeindruckender für mich ihr Saxophonspiel im Verbund mit der Studentenband. 



Danach wieder auf das Schiff, da steht in der Kabine etwas Fertig-Sushi aus dem Supermarkt bereit, dazu ein Cabernet aus Chile, völlig o.k., das reicht und passt ja auch - alte Erkenntnis aus den Zeiten als Weindeuter (klick).


Dann spät doch nochmal raus, es nieselt leicht. Darum nur ein kurzer Törn am IJ entlang bis Centraal Station und über die Prins Hendrikkade wieder zurück.


Mittwoch morgen, die Sonne bricht durch, plötzlich Wärme. Die Hotelschiffe liegen scharfgeschnitten gegen die tiefe Herbstsonne, hinten das alte Arsenal der Admiralität, heute Scheepvaartmueum.


Noch ein schnelles Ontbijt an Bord, die Stimmung ist herzlich (der Gästekontakt wird durch einen fröhlichen Polen gewährleistet)...


...und ein letzter Blick auf die Stadt, die Canaletto-Kulisse mit der Basiliek van de Heilige Nicolaas, von den großen historischen Kirchen in der Altsstadt die jüngste, eingeweiht erst 1897.


Das Bootje ruft, aber Überraschung! Ich überführe nicht allein. In Weesp wartet der gute Freund und Ersatzoffizier Klaus. Zusammen fahren wir nach Nederhorst. Bei der Ausfahrt scheint die Sonne, kräftiger Wind weht, das Wasser auf dem Spiegelplas kräuselt.



Zum letzten Mal in diesem Jahr wird geschleust und es öffnet sich für uns die Brücke, gibt den Zugang frei auf die Vecht.


Wir tuckern einmal hoch bis Muiden, es nieselt wieder leicht und wird kalt. Darum nur ein kurzer Stop am Fluß, Zeit für einen Bordimbiss und dann direkt zur Jachtwerf  Weesp.



Hier haben wir ELAN im März 2016 zum ersten Mal gesehen und dann gekauft (klick). Seitdem überwintert ELAN hier "op de kant". Dem Betrieb gehört in Bezug auf Verwahrung, Wartung und Reparatur mein volles Vertrauen.


ELAN bleibt noch etwas im Wasser. Falls das Wetter in der zweiten Oktoberhälfte mitspielt, soll nochmal getuckert werden. Die Vaarseizoen soll noch nicht zu Ende sein...