Sixhaven - Drei Tage im Juli

Die zweite richtige Tour mit ELAN in diesem verrückten Ausnahmejahr! Bei herrlichem Sommerwetter schleusen wir an einem Freitag gegen 11.00 vom Spiegeplas auf die Vecht und von da nördlich raus in Richtung Weesp.


Vertraute Flußlandschaft, im Sommer viel Leben auf und am Wasser.




Nach ein paar Kilometern kommt Weesp in Sicht, die schöne Stadt mit historischer Kulisse öffnet sich mit seinen Brücken und Häfen in urholländischer Manier zur Vecht hin.


Vor drei Wochen gab es die große Schleife südlich bis Amstelveen zu den Westeinderplassen, da war Amsterdam das Ziel für die erste Übernachtung (klick). Jetzt steht auf dem Plan wiederum eine Visite in der großen Wasserstadt. Das ist seit 2018 (erster Besuch zum Koningsdag) ein bevorzugter Anlaufpunkt für ELAN geworden, aus vielen Gründen...
Amsterdam ist vom Heimathafen über drei sehr unterschiedliche, aber immer attraktive Routen zu erreichen. Zur Wahl stehen:
1. Über die Vecht bis Weesp, da durch die Stadt und weiter den Amsterdam-Rijnkanaal querend über die Weesper Trekvaart bis zur Amstel, mitten hinein ins Herz der Stadt.
2. Wieder bis Weesp, aber dann weiter bis Muiden durch die Groote Zeesluis aufs offene IJmeer, vorbei an Pampus und dann westlich vorbei an Durgerdam und IJburg durch die Oranjesluizen auf das IJ direkt "Dans le port d'Amsterdam".
3. Wieder nördlich bis Weesp und durch die Stadt bis zum Amsterdam-Rijnkanaal, dann aber auf dem Kanal nordöstlich bis  in die Stadt. Das ist die schnellste Strecke, es gibt für ELAN da keine Hindernisse mehr, keine Schleuse, keine niedrigen Brücken. Im Grunde nicht schlecht, aber die Fahrt auf der "Wasserautobahn" ist auch am wenigsten abwechslungsreich. Zudem muß man da sehr Obacht geben auf die großen und schnellen Binnenfrachter und den Wellenschlag. Den Weg nehmen wir aber heute trotzdem, denn die Weesper Trekvaart ist uns versperrt. Die erste Brücke bei Driemond steht unter Reparatur.


Doch zunächst eine Pause in Weesp, da steigen zwei Freunde zu, beide bis Samstag Passagiere für das Bootje. Wir machen kurz an der Vechtkade fest.


Es ist heiß heute und an solchen Tagen mit über 30 Grad werden die Klappbrücken gekühlt, um den Mechanismus intakt zu halten, so auch auf der Lange Vechtbrug.
Die Kanalfahrt läuft ohne Probleme, ELAN zieht geschmeidig die 9 Kilometer in Richtung Amsterdam, eine feine Brise von Südost schiebt zudem von Achtern. Kurz vor dem IJ biegen wir westlich ab auf die Nieuwe Vaart mitten ins Herz der Stadt.



Nach gut 15 Minuten kommt man hier am Oosterdok raus, immer wieder beeindruckende Kulisse. Hier konzentrierte sich im Golden Eeuw die gesamte Handels - und Kriegsflotte der Niederlande, wurde hier ausgerüstet und brach von hier auf zu Fahrten ans andere Ende der Welt. Heute liegen hier die Hotelschiffe, an der Oosterdokskade wächst eine gewaltige Neubaukulisse, mittendrin legt sich der grüne Bug von Renzo Pianos Nemo. Und heute sucht die Amsterdamer Jugend hier Abkühlung im Hafenwasser.



Ankunft im Sixhaven! Wieder mal beobachtet von der Webcam, die ist auf die gesamte Hafenkulisse gerichtet, das Filmbild wird live via Youtube gestreamt. Wir kriegen einen Platz vorne am A-Steiger. Phantastische Stelle, kein Vergleich zur der Notunterkunft im Dauerregen vor drei Wochen zu Beginn der großen Tour durch das Groene Hart.



Sixhaven wurde angelegt 1920 durch die Koninklijke Nederlandsche Zeil- en Roeivereeniging und benannt nach Willem Six, dem damaligen Vorsitzenden. Der stammte aus der bekannten und (traditions)reichen Amsterdamer Patrizierfamilie Six, seit dem goldenen Zeitalter im 17. Jahrhundert ein weitverzweigter und einflußreicher Clan. Wirklich lesenwert dazu und tiefe Einblicke in die niederländische Geschichte gebend ist das Buch "Die vielen Leben des Jan Six: Geschichte einer Amsterdamer Dynastie" von Geert Mak.
In den ersten Jahren lag die königliche Motorjacht “PIET HEIN” oft im Hafen. Nach dem zweiten Weltkrieg zog die "Königliche" aber dann nach Muiden um, direkt an die Vechtmündung zum IJmeer (klick). Der Hafen verfiel, war nur noch Heimat für ein paar Wohnboote. Bis er 1974 wieder aktiviert wurde, nach den Bürgerlichen ausgerechnet von sehr motivierten Werftarbeitern, quasi ein Wechsel der gesellschaftlichen Klassen.
1946 wurde von Schiffbauern und Dokarbeitern auf der großen NDSM Werft in Amsterdam Noord ein Wassersportverein gegründet, die Watersportvereniging Dok- en Scheepsbouw, kurz WVDS. Bis zu dieser Zeit hatte der Verein auf dem Gelände der Werft seinen Platz und nutzte auch die Bautechnik der Werft. So konnten die Schiffbauer in der Freizeit selbst Hand anlegen und aus Alteisen und alten Rettungsbooten entstanden die ersten eigenen Motorjachten.
Nach vielen Umstrukturierungen auf dem Werftgelände mußte der Verein umziehen, ein neuer Platz wurde im verfallenden Sixhaven gefunden. Die Mitglieder haben eigenhändig den Hafen wieder aufgebaut.
Bis heute werden noch alle Arbeiten von Mitgliedern in freiwilligen Arbeitsgruppen verrichtet. Hafenmeisterei und die Kantinen-Bar werden nur durch freiwillige Vereinsmitglieder bemannt. Vor ein paar Jahren wurde genau unter dem Sixhaven der Tunnel für die neue Amsterdam-Metro gebaut, im Rahmen dieses gewaltigen Projekts wurde auch der Sixhaven nochmal gründlich renoviert. Alle Steiger und die Sanitäranlagen sind neu. Es präsentiert sich also heute alles in Top-Form.


ELAN liegt mitten im Getümmel, ringsum Hafenkino satt. Aber natürlich geht es auch wie immer mit der Fähre rüber auf eine Exkursion in die Stadt. Besondere Stimmung am Abend, den sollte man am Wasser verbringen, am IJ. Magisches Licht der blauen Stunde, von Westen, von der Nordsee her, bringt die untergehende Sonne goldenen Schimmer.


Wir wollen von Centraal Sation nicht weiter in die Altstadt sondern mit der Fähre rüber zur NDSM Werft. Da ist alles im Umbruch, der gesamte Bereich wurde vor einigen Jahren Trendviertel, Kreativzentrum, Motor für experimentellen Strukturwandel. Viel Altes, spontan Umgewandeltes und Improvisiertes in den alten Hallen und kreativen Bauuten aus Containern und Resten der Werft. Dahinter schiessen aber gewaltige Neubauten wie Pilze aus dem Boden. Vor allem vielgeschossiger Wohnraum entsteht, bis 2020 über 2000 neue Wohnungen (Details hier). Das rückt dem bunten Chaos immer näher und wird den Charakter von Noord hier in den nächsten Jahren ziemlich verändern.


Zum Diner ins Pllek direkt am Wasser. Am Eingang gibt es zwar eine "Coronabelehrung", ansonsten herrscht Partystimmung.  





Am Samstag herrlicher Morgen, die Besatzung auf ELAN hat inzwischen gewechselt, neue liebe Gäste sind an Bord. Im Hafen geht es trotz guter Belegung ruhig zu. Hier zeigen sich die Qualitäten der Skipper: Ruhe und Gelassenheit, man genießt an Bord, nimmt Rücksicht.


Wir machen einen Rundgang durch die Altstadt. In Amsterdam ist heute Pride Day, immer ein großes Ereignis mit Wasserparade. Das wird heute wg. Corona nur sehr klein begangen, vereinzelte Partyboote kreuzen trotzdem durch die Grachten. Erinnerungen an eine Tour vor zwei Jahren kommen hoch, da war das hier noch bedeutend größer.



Zum Diner bleiben wir in Noord, kehren ein ins urige Cafe Ons, nur ein paar Schritte vom Sixhaven entfernt.



Der Sonntag beginnt ruhig, Frühstück an Bord, danach klar Schiff und das Boot zum auslaufen bereit machen.


Doch vorher laufen wir noch einmal um den Hafen, am Rand zum IJ hin befindet sich nämlich ein Kleinod, das Mandela Huisje. Da schauen wir kurz vorbei und sind überrascht. Es gibt nicht nur die (teure) Ein-Zimmer-Herberge, sondern eine wunderbare kleine Gastronomie. Ländliche Idylle mitten in der großen Stadt. Es geht gegen 12.00, Zeit für eine Einkehr ist nicht mehr, wird aber sicher nachgeholt.




ELAN verlässt Sixhaven, das Dach ist geöffnet zum Vollcabrio.



Es soll zurück gehen über die Amstel und die Weesper Trekvaart. Doch schon wieder gibt es auf dieser Route ein Problem. Bei der ersten Diemenbrücke, nach immerhin schon fast 40-minütiger Fahrt, kommt der Brückenwart an die wartenden Boote und verkündet, daß die Brücke in Driemond (ganz am Ende kurz vor Weesp) defekt ist und nicht geöffnet werden kann. Just an dieser Brücke fanden ja in der Woche zuvor über mehrere Tage Wartungsarbeiten statt. 


Superärgerlich natürlich, denn dadurch wird diese Route zur Sackgasse. Uns bleibt nichts anderes als kehrt zu machen, zurück nach Amsterdam zu schippern und wieder auf dem Amsterdam-Rijnkanaal die Heimreise zu bestreiten. Doch auch das hat seinen Reiz, der Weg ist das Ziel und ELAN ist ja ohnehin: Altijd vaarklaar!